Philosophisches zur Lage / Finissage des Kunstprojektes »RollWest«

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Liebe Freundinnen und Freunde von LOGOI,

nachdem die gestrigen Beschlüsse der Politik einmal mehr verdeutlichen, dass der coronabedingte Ausnahmezustand unsere Alltagsgestaltung und Lebenswelt weiterhin maßgeblich prägen wird, kommt hier Aufmunterung in Form unserer dritten »Philosophischen Post«:

Unten finden Sie neuerliche »Philosophische Betrachtungen zur aktuellen Lage« von Mechthild Geisbe und der Autor und Dichter Dieter Hans erfreut uns mit seinen »Haikus in Quarantäne« – viel Vergnügen bei der Lektüre!

Darüberhinaus laden wir Sie herzlich ein zur Online-Finissage unserer aktuellen Ausstellung »RollWest« des deutsch-iranischen Künstlers Shahin Tivay Sadatolhosseini.

Seit dem 20.03. hat er seine geplante Rhönradreise in die USA symbolisch angetreten und jeden Tag im LOGOI das Rad für uns ein wenig weitergedreht.

Am kommenden Freitag, 17.04., findet das Kunstprojekt einen ersten Abschluss in der digitalen Finissage mit einem Wortbeitrag von Prof. Wolfgang Becker um 18:00 Uhr und musikalischer Begleitung der iranischen Sängerin Sanaz Zaresani um 19:00 Uhr. Hören Sie mit unter diesem Link.

Der Künstler plant, seine Reise in die USA im Herbst diesen Jahres anzutreten und nimmt gerne Ihre Botschaften für das Weiße Haus mit auf den Weg, die Sie an seine Mailadresse richten können: shahin@gmx.com

Infos zum Projekt finden Sie hier, verbunden mit dem Hinweis, dass Sie die geplante Reise entweder durch den Erwerb eines der ausgestellten Kunstwerke oder auch eine Spende an den Künstler unterstützen können. Wir stellen gern den Kontakt her oder Sie kontaktieren den Künstler direkt hier.

Am kommenden Wochenende wird dann umgehängt im LOGOI und wir freuen uns schon jetzt auf die kommende Ausstellung »résumé« mit Werken von Joachim Griess. Dazu bald mehr…

Bleiben Sie gesund und munter!

Auf bald – herzliche Grüße
Ihr und Euer LOGOI-Team Jürgen Kippenhan, Ines Finkeldei und Stefanie Schlößer


»Philosophisches zur aktuellen Lage« No.2

Es gibt Tage im Jahr, die der Besinnung auf das Wesentliche dienen, nur um es anschließend sorgloser ausschalten zu können. Die Hoffnung darauf, dass die Welt mit Corona auch für die Zeit danach ein wenig menschlicher werde, mag sich um die Ostertage nochmal verdichten. Berechtigt ist sie vermutlich nicht. Es melden sich Stimmen zum Ausstieg aus den Vorsichtsmaßnahmen, die Zeitpunkt und Vorgehensweise nicht mehr ganz so deutlich von zu vermeidenden Todesfällen abhängig machen, wie es zu Beginn der Kontaktsperre zu hören war. Sollte sich ein schleichender Prozess zur Normalität ohne Konsequenzen für ein regionales und globales Miteinander anbahnen? Die Feststellung einer Bereitschaft zum Umdenken, zur Sensibilisierung für Neujustierungen im Wertgefüge registrieren vielleicht mehr diejenigen, die einen Handlungsbedarf schon vor Corona gesehen haben. Sie vermuten eine realistische Chance für strukturelle Veränderungen. Sollten sie dazu Anlass haben, müsste man jedoch davon ausgehen, dass Verantwortung und Einsicht bei einer breiten Mehrheit auch über Corona hinaus belastbar sind. Die Basis dafür ist fragwürdig.

Medizinethiker halten es schon jetzt für realistischer an die Verantwortung der Bürger nur in begrenztem Rahmen zu appellieren. Dabei spielen auch Annahmen zur psychischen Belastbarkeit eine Rolle. Man befürchtet, dass eine vorhandene Akzeptanz von Maßnahmen auf die Dauer in Ablehnung umschlagen könnte. Geduld ist nicht ewig zu strapazieren, und irgendwann verliert jedes Lob für rücksichtsvolles Verhalten seinen bestätigenden Charakter, eine Bereitschaft zum Verzicht schlägt um in Aggression und Ressentiments. Solchen Befürchtungen liegt mehr oder weniger bewusst ein geringes Vertrauen in die moralischen Kompetenzen zugrunde. Vielleicht kann der Wert des Lebens in seinem umfassenden Anspruch dem Menschen gar nicht zugemutet werden?

Andere philosophische Perspektivierungen sind weniger pessimistisch. Markus Gabriel setzt auf die Plausibilität von Argumenten. Der Wert des Lebens lässt sich nicht ohne Widersprüchlichkeiten auf ein zeit-räumliches Umfeld beschränken. Für ihn ist das eine leicht einsehbare Tatsache ohne jeglichen Zumutungscharakter. Da, wo Empathie ihre Wirkung verliert, kann Rationalität überbrücken und einsichtig machen, dass Rheinländer einem Bayern nicht mehr schulden als einem Inder, sind sie ihm doch gleich anonym. Für Gabriel ergibt sich der Wert des Menschen in seiner Universalität notwendig daraus und drängt sich mit bestechender Logik im geografischen Vergleich geradezu auf. Rationale Einsichten dieser Art sind jedem zugänglich und die momentane Sensibilisierung für moralische Fragen ermöglichen berechtigte Hoffnung auf einen ethischen Fortschritt als Effekt der Krise.

Vieles spricht allerdings gegen diese Sicht:

Wenn die Mehrheit der Amerikaner Trump eine größere Krisenkompetenz zutraut als den anderen Präsidentschaftskandidaten, lässt dies doch einigermaßen an Einsicht und Verantwortung zweifeln. Trumps Anhänger haben der Vernunft den Kampf angesagt. Vernunft ist eine elitäre Provokation, gegen die man sich mit irrationalem Fanatismus wehren muss. Viel Hoffnung auf die Durchsetzungskraft der Einsicht lässt das nicht. ‘America First’-Parolen verpflichten den Rheinländer nur sich selbst gegenüber, da spielen weder Bayer noch Inder eine Rolle. Es gilt den Nächsten auf das national vertretbare Maß zu reduzieren. Der Nächste hat identitätsstiftenden Gehalt. Gegen diese Quelle ist jede Logik immun. Plausibilität bewirkt nichts als emotionale Empörung.

Die größte Herausforderung moralischer Verantwortung und Einsicht ist wohl die Wahrhaftigkeit von Motiven. Ethik sollte immer beim Selbstverhältnis ansetzten. Wir sind kontingent. Die Notwendigkeit, mit der das Subjekt sich als es selbst erkennt, ist ein nachträgliches Narrativ. Man braucht Demut, das zu akzeptieren. Es zwingt, sich aus dem Nichts heraus zu denken. Daraus entsteht eine emotionale Bereitschaft zur Unabhängigkeit des Subjekts sich selbst gegenüber. Diese Unabhängigkeit ist eben auch Fundament für Einsichten um ihrer selbst willen. Nur solche Einsichten sind nachhaltig und offen für Argumente. Der umfassende Anspruch des Lebens braucht ein emotionales Verhältnis zur Abstraktion.

Wenn vieles dagegen spricht, dass Corona eine realistische Chance auf strukturelle Veränderungen birgt, dann bestärkt die Krise aber vielleicht die Notwendigkeit von Bildung genau in diesem Sinn. Corona wird nicht die letzte Krise gewesen sein.

Mechthild Geisbe, Straelen
13.04.2020


 

Haikus
in Quarantäne

1
Wohnungsdecke : dünn !
Nachbar knetet früh seine
Schritte in das Haus .

2
Alles Nichts , sagen
die Lebenden , außer uns !
Nihilisten halt ….

3
Ohne andere !
Heimatverlust in schlimmster
Form : Schlaflosigkeit .

4
Heimat = Tag an dem
man weiß , welche Bücher noch
wieder zu lesen . …

5
Gewohnheit ist der
Statthalter von Jugend , wie
spiegelnde Wurzel .

Dieter Hans, April 2020

 
LOGOI