… Fortsetzung der Ausstellung von Joachim Griess und dem Begleittext von Dirk Tölke - Teil II:

Der Eindruck klinischer Härte und plakativer Abgrenzung kommt nicht auf. Dazu tragen auch die milden Farbnuancen aus dem Farbkanon von Ende der 1950er Jahre bei. Die fertigen Bilder erinnern dann schon wieder an Seherfahrungen des Künstlers in ausgebesserten Kirchenwänden und Bodenfliesen, in Gerüsterastern, Linolfußböden oder Plattenwerkstoffen. Maserungen und maschinengerechte Streifenstrukturen gehören zu unserem Alltag. Die Farbnuancen des Verblassens, Verwitterns und Alterns haben ihren Reiz jenseits der Werbegrelligkeit.

 

ohne Titel, Ölpastell auf Papier, Aachen 2018

 

Darauf verweist Joachim Griess mit seinen Konstruktionen, er bildet sie nicht ab, sondern er erzeugt sie strukturell ähnlich, aber eigenständig und gestaltet diese Wirklichkeitserfahrung mit konzentriertem Fleiß und gezügeltem Impuls zu gegenwärtigem und durchaus individuellem Ausdruck mit eigener Phantasieleistung im abwechslungsreichen Arrangement seiner Linienbildungen.

Auch für diese gegenstandslose Welt gibt ein Text von Wolfgang Mattheuer vom 12.11.1967 Anregung (ders.: „Äusserungen”, Leipzig 1990, S. 10):

„Ohne Phantasie entsteht nichts Neues, nur Wiederholung – und Langeweile, die Frucht phantasieloser Wiederholungen – Sinnlosigkeit. Phantasie haben, heißt nicht, sich begnügen im subjektiv-willkürlichen ziellosen Spiel mit Wirklichkeitspartikeln, sondern es heißt, die realen Möglichkeiten, den Sinn und die Bedeutungen der Gegebenheiten in der Vorstellung zu erproben. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich, zumal die Gegebenheiten im ständigen Wandel sich entwickeln. Phantasie braucht es, um aus dem Fluß der Dinge, Gedanken und Gefühle, die die Zeit ausmachen, wesentliche Teile und neue, erhellende Beziehungen zwischen den Teilen bedeutend im Bilde zu fixieren. Die Qualität der Beziehungen der Teile, Dinge oder Gegenstände zueinander im Bilde, aber nicht der Dinge und Teile an sich, ist die Qualität der Phantasie und bestimmt mit die Qualität des Kunstwerks.“

Kunst braucht notwendigerweise weder kostbare Materialien, noch bedeutende Themen oder imposante Effekte. Joachim Griess erzeugt mit seinen scheinbar kargen Werken dezent spannungsreiche Wirkungen, die spürbar sind und die weniger auf Sinn, als auf Sinnlichkeit aus sind. Zu diesem Tenor von Empfindsamkeit ist ihm wiederum ein Text von Georg Schmidt ein hilfreicher Begleiter:

„Gelöst von der Bindung an die Naturerscheinung und gebunden an die Naturgesetze, gibt die konkrete Kunst dem erfindenden Geist, der schöpferischen Phantasie die denkbar größte Freiheit. Vom Betrachtenden aber verlangt diese Kunst drei Dinge: stete Verfeinerung der Sinne, Heiterkeit des Gemüts und Wachheit des Geistes. Und dem, der willig ist, ihre Sprache zu lernen, dem gibt sie diese drei Dinge, die das Kostbarste sind, das wir haben können, mit Zinsen zurück: Verfeinerung der Sinne, Heiterkeit des Gemüts und Wachheit des Geistes.“